Interview mit Dr. René Merten zu seinem neuen Buch: Wissenschaftsmanagement in der Hochschulpraxis

Dr. Lukas Bischof: Einen wunderschönen guten Morgen, lieber René. Ich freue mich sehr, dass wir heute uns treffen, um über dein neues Buch zu sprechen – Wissenschaftsmanagement in der Hochschulpraxis! Und für diejenigen, die dich noch nicht kennen: Magst du vielleicht ein paar Worte zu dir sagen und wie es dazu kam, dass du dir dieses Thema vorgenommen hast?

Wissenschaftsmanagement in der Hochschulpraxis

Strategie - Führung - Prozesse

Dr. René Merten (Autor): Sehr gerne, Lukas. Hallo, auch von mir aus Wien. Ich freue mich sehr, dass wir heute darüber sprechen. Es kam eigentlich aus der Praxis. Ich bin Wissenschaftsmanager seit vielen Jahren bzw. viele Jahre gewesen, und bin selbst ein Hochschulgewächs. Damals hieß das Feld Wissenschaftsmanagement nur noch nicht so. Ich bin aus der Lehre in die Wissenschaftsverwaltung und dann ins Wissenschaftsmanagement gelangt, habe dort große Abteilungen geleitet, aber auch Forschungsprojekte durchgeführt. Und wie das bei vielen meiner Bücher so der Fall ist: Auch bei diesem Buch liebe ich es, Dinge aus der Praxis in Buchform zu veröffentlichen und den Leuten Sachen mitzugeben, die sie nicht irgendwo anders einfach nachlesen können. Deswegen ist auch dies ein Buch für die Hochschulpraxis. Ich habe gedacht, es wäre schade, wenn das nur wenige in einigen Workshops, so wie wir sie oft halten, oder in einigen Beratungssettings mitbekommen, sondern wenn eine breite Masse an Wissenschaftsmanager:innen davon etwas hat.

Dr. Lukas Bischof: Du sagst, das Buch richtet sich an Wissenschaftsmanager:innen. Vielleicht könntest du mal kurz beschreiben, was ist das eigentlich – Wissenschaftsmanagement: Wer ist Wissenschaftsmanagerin?

Dr. René Merten (Autor): „Kurz“ ist ein gutes Stichwort, denn das ist umstritten. In dem Buch grenze ich Wissenschaftsmanagement sehr stark ein auf bestimmte Personengruppen und Tätigkeiten. Beispielsweise betreibt ein:e Dekan:in auch Wissenschaftsmanagement im weitesten Sinne. Aber akademische Selbstverwaltung nehme ich aus dem Buch heraus, genauso wie externe Wissenschaftsberatung, also das, was wir bei Lukas Bischoff Hochschulberatung zum Beispiel machen, wenn wir z. B. Wissenschaftsprojekte begleiten. Wissenschaftsmanagement im Sinne des Buches ist eine Tätigkeit von Menschen, die in Wissenschaftsbetrieben arbeiten und die in der sogenannten „dritten Säule“ zwischen Wissenschaft und Verwaltung arbeiten. Sie müssen dazu beide Funktionslogiken verstehen, um dazwischen vermitteln und eine Schnittstellenfunktion einnehmen zu können.

Dr. Lukas Bischof: Das sind beispielsweise  Personen, in deren Stellenbezeichnung „Koordinator:in“ steht, oder auch Stabsstellenleitungen, richtig? Wer gehört noch alles dazu?

Dr. René Merten (Autor): Ganz richtig. Auch die berühmten Fakultätsmanager:innen, die Leitungen von Graduate Schools, oder Forschungsgruppenleitungen durch Nicht-Wissenschaftler:innen sind Personen, deren Stellen typischerweise zwar in der Verwaltung eingruppiert sind, aber darüber hinausgehend ein strategisches Mindset und ein Big Picture Denken benötigen, um diese Funktion wahrnehmen zu können.

Dr. Lukas Bischof: Die Anzahl dieser Positionen und Stellen ist ja in den letzten 10 bis 15 Jahren enorm gestiegen. Wieso braucht es jetzt das Buch? Was genau lernt man als Wissenschaftsmanager:in in deinem Buch?

Dr. René Merten (Autor): Wie du gesagt hast, ist Wissenschaftsmanagement in der Tat ein noch junges Gebiet, aber es professionalisiert sich immer mehr. Das Buch soll ein Beitrag zur Professionalisierung sein. Es gibt derzeit keinen festen Ausbildungskanon für das Wissenschaftsmanagement, außer einigen Inhouse-Zertifizierungsprogrammen von Hochschulen und einigen Studiengängen. Es ist auch höchst umstritten, was ein:e Wissenschaftsmanager:in denn können muss für diesen anspruchsvollen Job. Es gibt derzeit nichts dem Buch Vergleichbares, nur ein paar Veröffentlichungen über Wissenschaftsmanagement in Form von Fallstudien oder einzelnen Teilbereichen etwa aus dem Public Management. Dieses Buch richtet sich gezielt an junge Wissenschaftsmanager:innen, insbesondere auch an Quereinsteiger:innen, die ins Wissenschaftsmanagement gekommen sind, um ihnen zu helfen, wirksam in ihrem Job zu werden. Es geht darum, sich selbst und das Wissenschaftsmanagement als Gesamtes als eigene, tragende, und immer wichtiger werdende Säule im Wissenschaftsbetrieb zu erkennen.

Dr. Lukas Bischof: Mal angenommen, ich wäre Wissenschaftsmanager. Wie viele habe ich vielleicht promoviert und bin nach einer kurzen Postdoc-Phase dann in irgendeiner Wissenschaftsmanagementposition gelandet. Auf diese habe ich mich nicht systematisch vorbereitet, vermutlich habe ich sie gar nicht bewusst angestrebt, wie das ja sehr häufig die Werdegänge sind. Was habe ich ganz konkret von deinem Buch?

Dr. René Merten (Autor): Sehr viele Praxistipps aus dem gelebten Wissenschaftsmanagement. Auch, dass und warum Wissenschaftsbetriebe anders funktionieren als sonstige Organisationen zum Beispiel.

Was sind die dortigen Funktionslogiken, welche Bedeutung haben Macht und Mikropolitik? Wie funktioniert laterale Führung dort, was sind die Unterschiede zu Führung in einem privatwirtschaftlichen Konzern? Man lernt zudem ganz konkrete Methoden, die in Wissenschaftsbetrieben adaptiert funktionieren, etwa im Bereich Strategie, was ein eigenes Kapitel des Buches ist. Aber auch Führung, Kommunikation und Prozessmanagement sind Felder, die im Buch spezifisch auf Wissenschaftsbetriebe zugeschnitten erörtert sind. Es passiert leider häufiger, dass man versucht, Modelle aus dem Management auf die Wissenschaft oder Wissenschaftsbetriebe aufzupfropfen, was – wie wir wissen – nicht funktioniert. In dem Buch sind sehr viele Praxisbeispiele enthalten und Reflexionsübungen, um stets den direkten Transfer auf den eigenen Arbeitsbereich des Wissenschaftsmanagements mitzudenken.

Dr. Lukas Bischof: Großartig, diese Themen, die du ausgewählt hast – besonders Prozessmanagement und Führung sind für Wissenschaftsmanager:innen so wichtig!.Denn in der Regel ist man niemandem gegenüber weisungsbefugt im Wissenschaftsmanagement. Auch der Umgang mit Macht und Mikropolitik ist eine Schlüsselfähigkeit, die die allerwenigsten Wissenschaftler:innen und Menschen aus der Wissenschaftsverwaltung in der eigenen Berufsbiographie systematisch erlernt haben. Eine wirklich sehr, sehr hilfreiche Auswahl!

Dr. René Merten (Autor): Auch ich bin ja dort hineingestolpert ins Wissenschaftsmanagement – erst promoviert und dann auch direkt ins kalte Wasser gesprungen.

Dr. Lukas Bischof: Du hast dich durch die Lektüre des Buches intensiv und systematisch mit dem ganzen Berufsfeld Wissenschaftsmanagement beschäftigt und auch mit den Organisationen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, in denen dieses Berufsfeld wirken soll. Ich finde, du hast sehr treffend herausgearbeitet, dass die Anforderungen an Wissenschaftsmanager:innen eigentlich wie an eine „eierlegende Wollmilchsau“ sind. Man soll Spezialist:in sein für bestimmte Themen, man soll Wissenschaftler:innen führen, was für sich genommen schon sehr voraussetzungsreich ist. Man soll vermitteln können zwischen Verwaltung und Wissenschaft, und zwischen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen strategisch wirken. Man soll Change-Prozesse anleiten und begleiten können – und das alles ohne Weisungsbefugnis und oft genug auch ohne, ohne dass jemand auf einen gewartet hätte, also ohne Mandat aus Sicht der Wissenschaftler:innen. Wenn du etwas ändern könntest an der gegenwärtigen Praxis des Wissenschaftsmanagements, was würdest du gerne ändern?

Dr. René Merten (Autor): Also zum einen wäre es schön, wenn man diese dritte Säule, von der ich gesprochen habe, in der Praxis auch wiederfindet. Das findet man, zum Beispiel in der Stellenausgestaltung, nicht wieder. Wenn alles das, was du gesagt hast, an Kernkompetenzen da sein soll, dann müsste man das auch in den Stellenausschreibungen, im Recruiting und in der strategischen Personalentwicklung wiederfinden – Das tut man nicht. Dort findet man den Begriff Wissenschaftsmanagement oftmals überhaupt nicht. Das bedeutet, dass man diese Personen gar nicht adressiert, wenn es darum geht, solche Rollen korrekt zu besetzen. Dazu gehören auch entsprechende Befugnisse für die Stelle und man braucht dafür eine entsprechende Entlohnung, ebenso wie eine entsprechende Karriereoption, um die richtigen Leute dafür anzuziehen. Und nicht nur Leute, die auf einer halben Stelle für ein paar Jahre befristet sitzen! Es geht ja darum, auch nachhaltig in der Hochschule dauerhafte Veränderungen zu erreichen. Weiterhin wäre es gut, dass Hochschulen das Wissenschaftsmanagement als etwas Unterstützendes begreifen und nicht als eine zusätzliche Bürokratie oder ein zusätzliches Management, was „von oben“ oder „von außen“ draufgesetzt wird. Die Idee muss vielmehr sein, dass dadurch Wissenschaft unterstützt wird. Durch Wissenschaftsmanagement wollen wir Wissenschaft besser und effizienter machen. Wir wollen den Wissenschaftler:innen Freiraume und die Möglichkeiten geben, sich auf Forschung und Lehre zu konzentrieren. Das ist leider nicht immer so und hat auch viel mit dem Mindset zu tun.

Dr. Lukas Bischof: Mit wessen Mindset?

Dr. René Merten (Autor): Vor allem der Landesregierungen und auch das mancher Hochschulleitungen. Die Mehrzahl der Wissenschaftsbetriebe sind öffentlich-rechtliche Institutionen und folgen einer bestimmten Budgetlogik, einer Regelhaftigkeit und Verwaltungsmäßigkeit. Das ist ja auch richtig, denn es um Steuergelder. Aber der Innovationsdrang und Funktionalität sind oftmals nicht so stark. Und deswegen hat so eine dritte Säule Wissenschaftsmanagement es typischerweise schwerer, gerade wenn sie noch nicht ausgeformt ist, sich zu etablieren. Das sehen wir auch bei der Vernetzung von Wissenschaftsmanager:innen untereinander.

Dr. Lukas Bischof: Ja, da ist hochschul- und wissenschaftspolitisch einiges zu tun auf verschiedenen Ebenen. Mir scheint aber auch, dass das Verständnis innerhalb der Wissenschaft selbst, innerhalb der Hochschulpräsidien und möglicherweise der Personalabteilungen, die diese Stellenausschreibungen formulieren, nicht ganz klar ist. Auf der einen Seite gibt es eine sehr stark wachsende Anzahl solcher Stellen. Auf der anderen Seite scheinen sie relativ unstrategisch geschaffen zu werden. Wo hängt es? Wer müsste da tätig werden?

Dr. René Merten (Autor): Natürlich tun z.B. wir hier etwas, z. B. mit diesem Buch und auch mit unserer Beratungstätigkeit in den Hochschulen. Aber auch die Wissenschaftsmanager:innen selbst können vieles tun, indem sie sich vernetzen und sie sich als eine wichtige Kraft darstellen. Die Botschaft wäre: „Schaut her! Ihr braucht uns und wir sind nicht einfach so ersetzbar!“ Etwa weil sie an Stellen sitzen, wo sie direkt Informationen von der Leitungsebene bekommen, wo sie Zugriff auf bestimmte Kommunikation haben, die andere nicht haben, etc. Das heißt, sie haben auch eine wichtige, machtvolle Rolle und ein Potenzial, was zum Teil auch noch nicht ausgeschöpft ist. Es hängt also auch ein bisschen mit der Wahrnehmung der eigenen Stelle zusammen. Nur weil ich keine hierarchische Befugnis habe, heißt das beispielsweise nicht, dass ich nicht prädestiniert bin, zu führen und zu leiten. Im Buch spreche ich in diesem Zusammenhang von der Ausgestaltung von bestimmten Rollen. Was man jungen Wissenschaftsmanager:innen mitgeben kann, ist auch, dass sie sich ruhig trauen können, das wahrzunehmen. Ich glaube, Hochschule braucht und verträgt das.

Dr. Lukas Bischof: Damit sprichst du an, auch sich selbst zu ermächtigen und nicht darauf zu warten, dass die eigenen Beiträge endlich gesehen und  geschätzt werden. Damit gehst du auf eine Ebene, die mir persönlich sehr sympathisch ist. Wer Lukas Bischof Hochschulberatung  kennt, weiß, dass wir zwar gerne das ganze System anschauen, dass wir uns und unsere Coachees und Trainingsteilnehmenden dann aber immer fragen, wie sie in ihrem eigenen Einflussbereich tätig werden können. Was kann man tun, um zu gestalten, im Rahmen dessen, was einem selbst möglich ist? Wie kann man selbst proaktiv handeln? 

Du richtest dich ja in dem Buch ja primär an Wissenschaftsmanager:innen, die vielleicht sogar gerade frisch einsteigen. Was wären die wichtigsten Empfehlungen, die du solchen Menschen geben würdest, sich in dem Spannungsfeld der verschiedensten Anforderungen und unklaren Stellenprofile zu orientieren und eine eigene gesunde Haltung und einen guten Umgang damit zu entwickeln?

Dr. René Merten (Autor): Also zum einen: „Seid mutig! Fordert auch Dinge ein!“ – etwa beim Onboarding, bei Einschulungen, oder dass ihr bestimmte Informationen braucht. Dass ihr gegebenenfalls auch Befugnisse und auch Budgets braucht, wenn ihr etwas gestalten wollt. Und dass ihr auch Sichtbarkeit braucht – Stichwort interne Kommunikation. Zum Beispiel wenn man ein Change-Projekt leitet oder wenn man für Innovationen zuständig ist, dass auch die Rückendeckung von der Leitung auf fakultärer Ebene oder auf Hochschulebene da ist. Auch Vernetzung habe ich schon angesprochen, aber im Sinne von professioneller Vernetzung, um von einander praktisch Peer to Peer lernen zu können. Und ferner: „Nicht da stehen bleiben, wo man steht!“ Wissenschaftsmanagement ist eben nicht irgendein Verwaltungsjob, sondern es geht darum, sich immer weiter zu entwickeln, weiter zu denken, zu schauen, wo geht die Hochschule, die Fakultät oder mein Forschungscluster als Ganzes hin? Letztlich bedeutet das, aus sich herauszutreten und sich zu fragen, was ich für das Gesamte leiste? Manchmal im Alltag, im Alltagsdetail? Solche ständige Selbstreflexion ist gar nicht so einfach in der Praxis und immer wieder ein Spagat, den man schaffen muss.

Dr. Lukas Bischof: Und viele, viele hilfreiche Ansatzpunkte kann man in deinem Buch nachlesen. Erhältlich ab jetzt!

Dr. René Merten (Autor): Ja, genau!

Dr. Lukas Bischof: Mir hat die Lektüre ganz großen Spaß gemacht. Toll, dass es dieses Buch jetzt gibt. Und toll, dass du Teil von Lukas Bischof Hochschulberatung bist. Bevor ich dir einen schönen Tag wünsche, noch eine letzte Frage: Was sind die nächsten Vorhaben? Wie geht es jetzt weiter im Thema Wissenschaftsmanagement und in der Arbeit für Wissenschaftsmanager:nnen?

Dr. René Merten (Autor): So wie das Buch ein Transfer von Praxis in die Schriftform ist, wäre es super, wenn das auch wieder den Bogen zurückschlägt. Das heißt, dass man in der Praxis mit Wissenschaftsmanager:innen zusammen arbeitet und ihnen ein Format anbietet, das kein Studium ist oder keine weitere zertifizierte Weiterbildung, sondern in dem es darum geht, Praktiker:innen miteinander zu vernetzen und sie dort abzuholen, wo sie gerade in ihrem Job stehen – in Richtung eines Online-Coachingprogrammes zum Wissenschaftsmanagement mit Blended-Learning- und  Flipped-Classroom-Elementen sowie Vernetzungsanteilen, auch um eine starke Community aufzubauen. Und wenn wir dann noch die Hochschulen dafür begeistern können, mit zu tun und deren Expertise mit einzubringen, dann glaube ich, ist das ein großer Gewinn für das Wissenschaftsmanagement insgesamt.

Dr. Lukas Bischof: Ja, ich bin gespannt. Ich freue mich auf alles, was kommt. Herzlichen Dank für das Interview. Und allen, die das jetzt lesen, wünsche ich eine gute Buch-Lektüre.

Dr. René Merten (Autor): Vielen, vielen Dank, lieber Lukas!


Zum Autor:
Dr. René Merten

Zertifizierter Fachtrainer für Erwachsenen-bildung (ISO) und Projektmanagement (ISO & IPMA). Spezialisiert auf agile und klassische Methoden, Führung, Teambuilding sowie Change Management im Bildungssektor. Seit 2020 bringt er als Wissenschaftsmanager mit über 15 Jahren Führungserfahrung an Hochschulen bei uns sein Know-how ein.